„Smart heißt vor allem multifunktional“

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Smart Materials

Ob recyclebare Fasern für Teppiche oder Mode aus Algen – die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz spielen für die Herstellung von Produkten eine zunehmend wichtige Rolle. Auch in der Architektur setzt man immer mehr auf nachwachsende Rohstoffe und so genannte Smart Materials. 

Einige Architekten und Architektinnen forschen dafür auch selbst an ökologischen Alternativen zu herkömmlichen Baustoffen. Eine von ihnen ist die Stuttgarter Juniorprofessorin Dr.-Ing. Hanaa Dahy. Die gebürtige Ägypterin entwickelt mit ihrem BioMat Team am ITKE alltagstaugliche, biobasierte Materialien und wurde für die Entwicklung eines ökologischen Verbundstoffs aus kompostierbarem Plastik und Stroh mehrfach ausgezeichnet. Wir haben mit ihr über die Zukunft der Materialforschung gesprochen – und gefragt: Was sind eigentlich Smart Materials?

Frau Dr. Dahy, in vielen Branchen wird heute mit neuen, alternativen Materialien experimentiert – seien es nun Teppichfasern aus alten Fischernetzen oder vegane Lederalternativen aus Ananas. Lassen Sie sich von solchen Projekten inspirieren?

Ja, natürlich – vor allem, weil ich selbst eigentlich als Designerin angefangen habe, mich mit recyclebaren Materialien auseinanderzusetzen. Unter dem Titel „Do it Yourself“ habe ich z.B. 2011 ein Seminar mit 20 Studenten durchgeführt, in dem wir nicht nur Naturfasern getestet haben, sondern durch Experimente mit allen möglichen Materialien von Papier über Glas bis hin zu Zement versucht haben, recyclebare Stoffe mit einer qualitativ hochwertigen Optik zu verbinden.

Was hat Sie denn als Architektin motiviert, Ihren Fokus auf die Materialforschung zu legen?

Das waren vor allen Dingen die Themen Nachhaltigkeit und Energie, aber auch soziale Aspekte. Als Architektin wusste ich, welches Material mir vorschwebte und welche Eigenschaften dieses haben sollte. Doch auf dem herkömmlichen Markt war ein solches Material bei den Firmen nicht zu bekommen. Deshalb habe ich mich entschieden, selbst auf diesem Gebiet zu forschen und meine Doktorarbeit in diesem Bereich zu schreiben.

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Und Ihre Arbeit ist sehr erfolgreich. Für die Entwicklung eines ökologischen, recyclebaren Verbundstoffes namens Bioflexi haben Sie bereits mehrere Preise erhalten. Was macht das Material so besonders?

Das Besondere ist vor allem, dass es uns gelungen ist, die vorhandenen Herstellungsprozesse der Kunststoffproduktion zu nutzen und mit neuem Fasermaterial zu verstärken und zu füllen. Dafür haben wir geschaut, welcher natürliche Rohstoff am geeignetsten ist und sind beim Stroh gelandet. Anders als viele andere Materialien ist Stroh immer verfügbar und günstig, weil es in großen Mengen als Reststoff in der Landwirtschaft übrigbleibt. Und es konkurriert nicht mit der Nahrungsmittelproduktion. 

Außerdem können wir es durch die schon vorhandene Technik in jede beliebige Form bringen. Wir setzen es z.B. zur Wärmedämmung, für Designer-Möbel, akustische Elemente und Trennwände, aber auch für Yogamatten ein. Wichtig war mir, dass ich selbst die Kontrolle über den Stoffkreislauf und Entwicklungsprozess bekomme. Deshalb habe ich mit meinem Team alle Rollen gespielt – vom Testen und Erforschen des Materials, über das Produktdesign bis hin zur Fabrikation.

Diesen ganzheitlichen Ansatz scheinen Sie auch in der Lehre zu verfolgen. Für Ihr Projekt „Material Matter Lab“ arbeiten Sie und Ihre Architekturstudenten mit Elektrotechnikern oder Informatikern zusammen.

Ich wollte den Architekturstudenten die Möglichkeit geben, selbst mit echten Materialien zu arbeiten und etwas Neues zu entwickeln. Durch die interdisziplinäre Arbeit mit anderen Studenten der Elektrotechnik oder Informatik sollen sie außerdem kontrollieren können, ob man bestimmte Bewegungsarten oder Interaktionen mit Hilfe von Sensoren in die entstehenden Materialien integrieren kann. Mit diesen Smart Materials wollen wir je nach Anwendungsanforderung eine dynamische Architektur schaffen.

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Das Stichwort „Smart Materials“ liest man im Netz recht häufig. Wie können solche Materialien aussehen?

Zunächst einmal bedeutet smart nichts anderes als multifunktional. Auch unser Verbundstoff BIOFLEXI ist ein Smart Material, weil es so viele Anwendungen erlaubt - trotz des gleichen Produktionsverfahrens. Zusätzlich können aber auch bewegliche Bauteile entwickelt werden. Das können Wandteile sein, die auf Bewegungen von Menschen reagieren oder Fassadenelemente, die sich aufgrund der Sonneneinstrahlung entfalten bzw. zusammenfalten und so das Klima im Raum nachhaltig mitbestimmen. 

Frau Dahy, wie werden sich Architektur und Materialforschung in Zukunft durch die Digitalisierung verändern?

Ich denke, bei der Fertigung wird das Thema Digitalisierung durch bessere Maschinen und Robotics eine immer größere Rolle spielen. Außerdem wird das 3D-Druckverfahren die Kunststoffverarbeitung in Zukunft so weit beeinflussen, dass wir uns viele Produktionsschritte sparen können. Wir sind in verschiedenen digitalen Fabrikationsverfahren schon weit vorgedrungen. Doch, um die Technik zu optimieren, braucht es noch etwas Zeit. 

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