Macht Minimalismus kreativ?

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Ein Experte klärt auf

Wer seine Wohnung und sein Leben entrümpelt, der entrümpelt automatisch auch seinen Kopf – und hat so freiere Gedanken, um kreativ zu werden. Diese These wird von auffallend vielen Minimalisten vertreten. Doch führt ein minimalistischer Lebensstil ganz automatisch zu mehr Kreativität? Bernhard Wolff, Experte für Kreativität und Kommunikation, glaubt das nicht. Allerdings könne Minimalismus durchaus den Kreativitätsprozess fördern. Wie das funktioniert und wie kreative Gedanken entstehen, erklärt er im Interview.

Herr Wolff, sie definieren Kreativität kurz und knapp mit „Etwas neues und nützliches in die Welt bringen“. Kann man lernen, kreativ zu sein oder ist das nur etwas für Genies?

Kreativität ist auf jeden Fall erlernbar, denn sie ist ein Prozess, in dem ganz bestimmte Methoden angewandt werden. Und diese wiederum kann man sich aneignen.

Können Sie uns diesen Prozess etwas genauer erklären? Wie läuft der kreative Denkprozess idealtypisch ab?

Der kreative Prozess durchläuft drei Phasen: Am Anfang steht die Analyse eines Problems oder einer Herausforderung. Dann suchen wir Inspiration. Wir schauen uns an, was andere Menschen dazu sagen oder geschrieben haben. So erhält man Puzzleteilchen, die uns bei der Suche nach Lösungen helfen. Die nächste Phase nennt sich „Inkubation“. Hier muss man das Problem wieder loslassen und man denkt eher unbewusst um das Problem herum. Wenn sich dann die Puzzleteilchen auf eine überraschende Art neu zusammenfügen, ist das die berühmte „Illumination“, der Moment, in dem die Idee plötzlich an die Oberfläche springt. Jetzt haben wir das tolle Gefühl: „Das ist die Lösung, da hätte ich auch früher drauf kommen können!“. Anschließend geht es in die Umsetzung und die Entscheidung, ob die Idee praktikabel und wertvoll ist. Es gibt also nicht einen kreativ-machenden Zustand, in dem wir alles gleichzeitig leisten können, sondern ich gehe im kreativen Prozess durch verschiedene Aktivierungszustände des Gehirns hindurch.

Wie kann man sein Gehirn beim kreativem Denken aktiv unterstützen?

Das kommt auf den Moment im kreativen Prozess an. Wenn ich ein Problem analysiere, muss ich am Anfang sehr wach sein. Da brauche ich einen hohen Erregungszustand, um die ganzen Informationen zu verarbeiten. In der Inkubationsphase ist es dann wichtig, das Gehirn herunterzufahren. Man kennt das ja, dass Halb-Wach-Zustände das Ausbrüten von Ideen begünstigen. Das ist die Ruhephase, in der sich die Dinge überraschend miteinander verbinden. Danach muss ich quasi wieder auftauchen und entscheiden: Ist die Idee nützlich oder wertvoll? Bringt sie mich ans Ziel?

Das Wissen um diese Phasen des kreativen Prozesses hat also einen ganz praktischen Wert...

Na klar. Nur wenn ich mir bewusst bin, an welchem Punkt des Kreativitätsprozesses ich mich gerade befinde, kann ich mein Verhalten optimal darauf einstellen und passende äußere Einflüsse und Umgebungen suchen. Es nützt nichts, wenn ich mich hinsetze, ein Glas Wein trinke und die Augen schließe, aber noch keine klare Vorstellung vom Problem im Kopf habe oder mir die Inspirationen noch nicht zusammen gesammelt habe, die ich brauche.

Eine anregende und gleichzeitig reduzierte Umgebung, in der man wirklich Ruhe hat, ist hilfreich, wenn man Inspiration sucht. Wenn man beispielsweise durch Berlin läuft, findet man viel Inspiration ? etwa durch die vielen Bildeindrücke, Menschen, etc. Danach ist es aber auch gut, sich in eine ruhige Umgebung zu begeben oder nach Brandenburg in den Wald zu fahren, um dort spazieren zu gehen und die ganze Inspiration zu verarbeiten.

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Bernhard Wolff

ist Experte für Kreativität und Kommunikation. Er lebt in Berlin und arbeitet mit Menschen täglich an der Förderung von kreativen Denkprozessen. In seinem jüngst veröffentlichten Buch „Titel bitte selbst ausdenken“ liefert er seinen Lesern 157,5 erfolgreiche Ideenbeschleuniger. 

Ordnung oder Unordnung? Messie-Haushalt oder Minimalismus? Welchen Einfluss haben die häusliche Atmosphäre und der Wohnstil auf kreatives Denken?

Es gibt Menschen, die eine aufgeräumte Umgebung und eine feste Struktur brauchen. Für diese sogenannten Analytiker müssen die Schranktüren geschlossen sein und die Tassen richtig im Schrank stehen, um sich wohl zu fühlen. Wenn ich aber ein Querdenker und Wuselkopf bin und meine Ordnung zu Hause gerne auch eine Unordnung ist, dann kann das ebenso eine Umgebung sein, die Kreativität fördert. Aber nicht deshalb, weil ich da so viele Inspirationen habe, sondern deshalb, weil ich mich in der Umgebung wohl fühle. Es geht also eher darum, dass ich eine Einrichtung finde, die mich entspannt, in der ich also keinen Stress habe.

Darüber hinaus kann man auch die Erkenntnisse aus der Farbwirkung mit einbeziehen. Vielleicht habe ich dann einen Raum, der eine orange Farbgebung hat und mich in eine Sonnenuntergangsstimmung versetzt. Vielleicht sorge ich auch für eine angenehme Geräuschkulisse, lege ruhige Musik auf oder lade mir eine CD mit Kaffeehausgeräuschen herunter.

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Kreativ sein im häuslichen Umfeld. Was können Sie noch empfehlen?

Es ist hilfreich, sich zuhause „Grabbelecken“ für die Ideensammlung zu schaffen: Schubladen, Kisten, Ordner, in denen ich zum Beispiel Zeitungsausschnitte sammeln kann. Ich selbst habe kleine Holzkisten und Schubladen, in die ich Notizen oder Karteikarten lege. Dann macht es Sinn, sich in seiner Wohnung einen Lieblingsort einzurichten, in dem man wirklich gut entspannen kann. Es kann auch ein Ort sein, der abgetrennt ist vom Rest des familiären Geschehens, wo ich leise Musik anmache und in Ruhe lesen und die Gedanken auf Wanderschaft schicken kann. 

Außerdem haben Studien gezeigt, dass Orte, an denen man sich nicht kontrolliert fühlt, Kreativität begünstigen. Das führt dann auch zu den Umfrageergebnissen, in denen Menschen häufig sagen: „Unter der Dusche oder auf dem Klo habe ich die besten kreativen Ideen“. Denn da fühlt man sich – genau wie in der Natur oder in seiner Wohlfühlecke – nicht kontrolliert.  

Fördert ein minimalistischer Lebensstil den Einfallsreichtum?

Ich kenne Leute, die einen üppigen, ausschweifenden Lebensstil führen und äußerst kreativ sind. Ich kenne aber auch Leute, die ganz asketisch unterwegs sind und tolle Ideen haben und sehr puristisch an die Sache herangehen.

Besitz, Vermögen und materielle Güter kann man kreativ als Ressource einsetzen. Man kann Wissensquellen anzapfen, die einem sonst nicht zur Verfügung stünden, und hat auf jeden Fall mehr Möglichkeiten in der Umsetzung. Wer sich vorsätzlich einschränkt, schafft sich eine Problemsituation, die man lösen muss. Das fördert sicherlich per se Kreativität. Bewusst einen Mangel herzustellen, ist daher eine spannende Methode, weil mich das zwingt, kreativ zu werden. 

Das sind dann die beiden großen Bereiche, in denen Menschen kreativ denken: nämlich aus Mangel, aus dem Problem heraus oder nach vorne geschaut mit der Frage, wie könnte es mir noch besser gehen, selbst wenn ich eigentlich schon zufrieden bin. 

Geben Sie uns noch ein paar Tipps für Kreativität mit auf den Weg?

Spielen und die Kindheits-Kreativität wieder erwecken! Sich auch als Erwachsener wieder auf seine frühere Kreativität zurück besinnen! Ganz viele Menschen, die kreativ unterwegs sind – ob minimalistisch oder nicht – schauen danach, was sie schon als kleine Kinder gerne und mit Leidenschaft getan haben. 

Eine letzte Frage, Herr Wolff. Schafft man mehr, wenn an sich weniger vornimmt?

Ich glaube, das ist der Trick, um nicht in Stress zu geraten. Ich muss meine eigene Stressgrenze kennen, weil mit Stress auf jeden Fall die Effizienz nachlässt. Und wenn ich mir mehr vornehme als diese Grenze zulässt, dann werde ich unproduktiver. Also so gesehen ist das auch ein psychologischer Trick. Für die Kreativität ist es dennoch gut, wenn man eine Deadline hat, wenn man also einen gewissen Druck erzeugt, weil man sonst dazu neigt, Dinge immer weiter vor sich herzuschieben.

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