Wie minimalistusches Wohnen zu mehr Klarheit führt

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Weniger ist Mehr

Minimalismus ist als Architekturstil von Häusern schon seit den 20er Jahren bekannt. Heute findet sich die klare Formensprache auch in der Inneneinrichtung von minimalistisch lebenden Menschen wieder. Hannes Grebin arbeitet als Möbeldesigner und Kreativberater für Einrichtungsfragen in Berlin. Im Interview erklärt er, wie man sich bewusst einrichtet, um zuhause wieder einen Ort der Ruhe und Klarheit zu finden.

Herr Grebin, was bedeutet es, minimalistisch zu wohnen?

Minimalismus ist vom Design her betrachtet die Reduktion von Ornamenten. Das heißt weniger Schnörkel und auffällige Muster, stattdessen mehr gerade Linien. Von dem österreichischen Architekt Adolf Loos stammt der berühmte Vortrag „Ornament als Verbrechen“ aus dem Jahr 1910, einer Zeit, als Jugendstil noch sehr populär war. Mit ihm kam plötzlich eine neue Strömung, die besagte, dass der Mensch nicht vom Ornament abhängig sei. Der Mensch wurde von Altem in der Architektur befreit, Bauhaus ist beispielsweise ein Vertreter der minimalistischen Denkweise.

Wenn wir von außen nach innen wandern: Wie zeigt sich Minimalismus in der Einrichtung?

Alle Objekte werden hier auf ihre Funktion und Nutzerfreundlichkeit reduziert. Das geschieht aber nicht zu Lasten des Designs, sondern nach der Regel: Form follows function. Das heißt: Aus der eigentlichen Funktion entwickelt sich das Design. Bei ornamentalen Möbeln ist dagegen eher das Muster entscheidend.

Was braucht der moderne Mensch zum Wohnen?

Dazu gibt es viele Untersuchungen. Beispielsweise hat das Architekturkollektiv P2 schon in den 60er Jahren skizziert, wie die perfekte Wohnungseinrichtung auf minimaler Fläche in einem Plattenbau aussehen kann. Heute leben viele Menschen auf größeren Grundrissen und wollen dennoch minimalistisch wohnen, obwohl sie eigentlich das Geld dafür hätten, viele Möbel aufzustellen. Mit steigender Bildung wird den Menschen dann auch bewusster, welchen Stellenwert die Einrichtung einnimmt. Da nimmt man nicht mehr nur den IKEA-Katalog zur Hand, sondern wählt die Möbelstücke ganz bewusst aus.

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Wie richtet sich ein Minimalist dann folgerichtig ein?

Der typische Minimalist weiß, dass eine bestimmte Fläche zur Verfügung steht und jedes Möbel im Raum eine Wirkung erzielt. Hinzu kommt die Kenntnis darüber, was Freiraum bedeutet und wie man sich in der Wohnung bewegt. Letzteres ist häufig funktional ausgerichtet.

Für das Wohnzimmer bedeutet minimalistisch zu wohnen: ein Sofa, ein Couchtisch und gegebenenfalls ein Pouf, um funktionaler und modular zu wohnen. Heute hat man keine großen Regale und Schrankwände mehr, da die Menschen immer weniger Bücher benötigen. Es genügt ein Sideboard oder Lowboard, wodurch der Raum mehr atmen kann. Bei Möbeln wie auch Teppichen und anderen Textilien achtet man auf Ton-in-Ton Kombinationen. Oft werden Grautöne gewählt und natürliche Materialien. Wenige Farbakzente kann man dort setzen, wo sie eine wichtige Bedeutung haben. So kann man das Gesamtbild etwas steuern.

Wie geht man mit Mustern und Dekorationselementen um?

Muster werden eher in Texturen ins Haus geholt. Das heißt keine bunt gedruckten Muster, sondern solche, die aufgrund der Textur oder Webstruktur in Kissen oder ähnlichem Musterakzente setzen. Wenn das Bild des Wohnraumes nicht durch Dekorationen überlastet wird, sind auch Bilder, Skulpturen oder andere Dinge in Ordnung. Man sollte auf sein Bauchgefühl hören. Denn schließlich geht es darum, Gegebenheiten zu schaffen, um klar denken und Ruhe finden zu können.

Wie passen Minimalismus und skandinavisches Design zusammen?

Das neue „Skandi-Thema“ ist zwei, drei Jahre alt. Man kann die Möbel mit Minimalismus sehr gut kombinieren. Denn sie haben natürliche, leicht organische Formen und eine absolut cleane Ausführung, so dass ihr Benutzer etwas von Menschlichkeit und Wärme erfährt. Grundsätzlich gilt auch hier: Je klarer ich selbst werde, desto aufgeräumter werde ich in meinem Kopf. Wenn man reizüberflutet ist, fällt es schwer, eine Entscheidung für den eigenen Lebensbereich zu treffen. 

Welche Bedeutung haben die Funktionen der einzelnen Wohnräume?

Der Körper lernt bestimmte Gewohnheiten. Und Zimmer haben bestimmte Aufgaben. Daher sollte man im Schlafzimmer beispielsweise kein Smartphone benutzen und auch keinen Arbeitsbereich integrieren. Ein guter Schlaf ist regenerierend, nur muss man den Körper auch darauf vorbereiten. Das gilt auch für Funktionen anderer Wohnräume.

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Wie sieht es mit der Kücheneinrichtung aus?

Das Wichtigste ist hier die Funktionalität und Benutzbarkeit. Wie man sich in der Küche bewegt und wo welche Arbeitsabläufe stattfinden kann man sich von den Profiköchen abgucken. Dazu gehört dann auch die Entscheidung für oder gegen Küchengeräte. Wenn man beispielsweise einen Toaster für zehn Euro kauft oder einen für 100 Euro, muss man sich gut überlegen, wie das Objekt jeden Morgen, wenn man gut in den Tag starten will, auf einen wirkt. Es ist nicht nur ein lohnenswertes Investment, wenn etwas länger hält und volle Leistung bringt. Auch das Aussehen bis ins Detail wirkt unterbewusst 24 Stunden am Tag auf den Nutzer sowie seine innere Klarheit, Ruhe und den Erfolg.

Was halten Sie von Upcycling, den vielen selbstgemachten Einrichtungsideen aus gebrauchten Gegenständen?

Will man etwas Individuelles in der eigenen Wohnung haben, in dem die eigene Energie steckt, sollte man mit natürlichen Materialien arbeiten. Aber Vorsicht: Die Klarheit kann man auch durch Upcycling stressen, sobald das Selbstgemachte Einrichtungsaccessoire zum Kitsch wird. Es funktioniert nur, wenn der perfekte Rahmen hierfür geschaffen wird und es am besten nur ein Stück ist. Denn jedes Objekt strahlt eine bestimmte Energie aus. Für geeigneter halte ich es, wenn man sich an Design-Anfertigungen orientiert, die im Gegensatz zu Palettenmöbeln, die man selbst herstellt, formschlüssig gearbeitet sind, wie zum Beispiel von Campagna Brothers oder Favela Chair.

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