Secret Supper Clubs, Kitchen-Surfing & Co. – Die neuen Kochformate
Neue Kochformate
Gemeinsam kochen und das Zelebrieren der Mahlzeiten – Essen hat für viele Menschen wieder einen hohen Stellenwert. Dabei geht es um Genuss und Spaß am Kochen sowie auch darum, nicht alleine zu schlemmen. Wir stellen geheime Supper Clubs und neue Kochformate vor.
Erst einen Tag vorher erfährt Doris Hennen-Mohr, wo das geheime Dinner stattfinden wird. Gemeinsam mit ihrem Mann Thaddäus hat sie vor ein paar Monaten das erste Mal den Underground Supper Club in Köln besucht und ist seither Stammgast. Sie ist Mitte fünfzig, ihr Mann etwa zehn Jahre älter. „Das war schon etwas schräg beim ersten Mal“, erinnert sie sich. „Da ging es eine alte Treppe hinunter in so einen Gewölbekeller.“ Nicht gerade ein Ort, an dem die Schmuckdesignerin und der Arzt sonst essen gehen. Aber was sie in dem Gewölbe erwartete, war kaum zu toppen: eine lange Tafel, weiß eingedeckt und liebevoll geschmückt. Der ganze Raum erstrahlte in einem feierlichen Glanz und füllte sich langsam mit Menschen, die sie allesamt nicht kannten.
„Dreigang“ heißt das Konzept, das sich drei junge Kölner ausgedacht haben. Jochen (38) ist im wahren Leben Produktdesigner, Catrin (36) ist Grafikerin und Raumgestalterin und Daniel, ein gelernter Restaurantleiter. Gemeinsam hatten sie vor ein paar Jahren Lust auf einen Sonntagsbraten an einer großen Tafel. „Früher saßen ja auch mehrere Generationen an einem gemeinsamen Tisch“, beschreibt Catrin die Idee hinter dem Konzept. „Und das wollten wir einfach wieder aufleben lassen.“
Wechselnde Köche beim geheimen Dinner
Das Konzept ist einfach erklärt: Beim Dreigang kreieren jedes Mal andere Köche an stets unterschiedlichen Orten ein Menü. Die Gäste des Supper Clubs haben schon auf der Bühne eines Theaters Platz genommen und beim nächsten Dinnerabend wird die Tafel unter freiem Himmel aufgestellt – wo genau verrät Catrin erst kurz vorher. Das sei ja schließlich das Konzept.
Das Menü wird der Dekoration angepasst, oder umgekehrt. Beim letzten Mal stand zum Beispiel alles unter dem Motto „Kirsche“. Und was bei so einem Supper Club auf den Teller kommt, entscheidet der Koch, der auch jedes Mal wechselt. „Die Köche können sich bei uns austoben und müssen sich nicht an das Standardprogramm der Küche halten, für die sie arbeiten“, beschreibt Catrin den Eifer, den auch die Köche bei dieser Aktion mitbringen. Eingekauft wird auf dem Markt in der Region und bei privaten Höfen.
Einen Tätowierer hätte ich sonst nie kennengelernt
Doris Hennen-Mohr genoss beim ersten Mal nicht nur das phantastische Essen sondern vor allem die Gesellschaft der anderen Gäste, viele davon waren wesentlich jünger als sie. „Neben mir saß ein komplett tätowierter junger Mann, der Besitzer eines Tattoo-Studios ist“, erzählt sie begeistert. Zwischen der Schmuckdesignerin und ihrem tätowierten Tischnachbarn entbrannte ein Gespräch über Kunst, in das sich auch die Verlegerin aus Düsseldorf von gegenüber einschaltete. Das Gefühl, für den Abend eine Gemeinschaft von Eingeweihten zu sein, verbindet und es entsteht sofort eine Vertrauensbasis, die ganz besondere Begegnungen ermöglicht und den Raum mit dem Klang von Stimmengewirr, klingenden Gläsern und lautem Gelächter erfüllt.
Die Lust am gemeinsamen Mahl steckt in den Genen
Viel ruhiger geht es heute im Café Diderot im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg zu. Herumgereicht wird gerade eine japanische Teeschale. Sie ist glatt, hat aber Macken, die es zu ertasten gilt. In dem kleinen Café sitzen etwa zehn Menschen, darunter eine junge Bloggerin, eine älteres Ehepaar und ein paar kulturell interessierte Einzelpersonen. Vorne steht Malte Härtig, Koch und Philosoph, der heute Abend einen Vortrag über die Einfachheit der japanischen Küche hält. Das ist eine von zahlreichen Veranstaltungen, die hier in dem neu gegründeten Kochbetrieb stattfinden. Still und interessiert hören die Gäste in dem Vorraum des Cafés zu, in dem sonst das Zischen von Fleisch im heißen Öl, Mixergeräusche und Stimmengewirr den Ton angeben. Gründer des Diderot sind Christoph und Eva. Sie haben ein gemeinsames Kind, aber auch das Café ist ihr Baby: Die Ernährungswissenschaftlerin und der Professor für Ernährungspsychologie wollten einen Ort der Begegnung rund ums Essen schaffen.
„Es ist genetisch programmiert, dass wir gemeinsam essen müssen“, erzählt Eva. „Die gemeinsame Mahlzeit war die erste soziale Handlung des Menschen und das sitzt fest“, ergänzt Christoph. Kinderkochkurse, Patisserie-Workshops und philosophische Gespräche – Essen soll hier wieder als Genussfaktor erkannt werden und zwar in Gemeinschaft.
In fremden Küchen die Schubladen aufmachen
Das ist allerdings weniger ein erklärtes Ziel als eine Beobachtung einer bereits eingetretenen Entwicklung, die sich wieder auf das gemeinsame Mahl zurückbesinnt. Landauf, landab geht es in Deutschland wieder gesellig und lecker zu. Freundeskreise spielen „Das perfekte Dinner“ nach oder treffen sich zum gemeinsamen Kochen statt zum Abhängen in der Bar. Wieder andere melden sich zu Kochkursen an, bei denen wiederentdeckte Gemüsesorten wie Topinambur, Steckrüben oder der Ur-Kohl auf der Zutatenliste stehen. Im Netz finden sich Anleitungen für Krimi-Dinner-Abende, bei denen jeder Gast in eine Rolle schlüpfen darf: Baronin, Rechtsanwalt oder der Mörder. Welche Rolle man spielt und ob Fisch oder Fleisch auf den Tisch kommen, ist egal – Hauptsache, man ist nicht allein. Sogar in privaten Küchen ganz fremder Menschen darf in die Töpfe geschaut werden. So zum Beispiel bei „Rudi rockt“. Rudi, das ist aber nicht etwa ein Hobbykoch. Rudi steht für die Abkürzung „Running Dinner“. Denn wer hier mitmacht, nimmt jeden Gang des Abendmenüs in einer anderen Wohnung ein. Gekocht wird immer im Zweier-Team, wer keinen Kochpartner hat, bekommt einen Partner zugelost. „Kochen macht sexy“ lautet der Untertitel dieser Veranstaltung, die vor allem in Studentenstädten, wie Aachen, Siegen oder Dortmund regelmäßig stattfindet.
Beim Essen lernt man Menschen am besten kennen
Vielleicht eine kleine Anspielung darauf, dass dieser Abend auch eine Form von Dating ist. „Die wachsende Zahl von Singles in den Großstädten ist ein großer Motor solcher Kochformate“, erklärt der Gesellschaftspsychologe Heinz Grüne. „Und in Zeiten von IS-Terror, Europakrise und TTIP haben die Menschen das Bedürfnis zusammenzurücken und gemeinsam der Unsicherheit zu begegnen“, ergänzt er.
Auf ein Kennenlernen spekulieren auch manche Teilnehmerinnen bei dem Begegnungs-Dinner „Story-Teller“ in vier deutschen Großstädten. „Es sind doch überwiegend Frauen, die sich hier anmelden“, berichtet Katrin Frische, die das Konzept entwickelt hat. Als Biografin hört sie sich täglich die spannenden Geschichten verschiedenster Menschen an. Geschichten erzählen – darum geht es bei den Themenabenden in ausgewählten Restaurants.
Beim Story-Teller kommen Geschichten auf den Tisch
In München, Hamburg, Berlin und Köln treffen sich fremde Menschen und sitzen bei jedem Gang einer fremden Person gegenüber. Drei Gänge, drei Fragen. Die Veranstalter geben das Oberthema vor.
Das gemeinsame Essen ist hier das Vehikel zu einer tiefgründigen Begegnung. Diskutiert wird über „Heimat“, „Glück“ oder „Loslassen“. „Aber vielleicht müssen wir mal übers Grillen reden oder so“, lacht Katrin, die sich mehr Männer bei den „Story-Teller“ Gesprächsabenden wünscht.
Was hier im Vordergrund steht, ist das, was all die neuen Kochbewegungen ausmacht: die Sehnsucht wieder gemeinsam mit Menschen zu kochen und zu genießen, die Küche wieder als Ort der Begegnung und das Essen als Form von Austausch und Gemeinschaft zu spüren.
Die Rückeroberung des Essens als soziales Ereignis
Vielleicht ist es ein Zufall, aber in Berlin erzählt der Japan-Forscher in seinem Vortrag von der Bedeutung des Zusammenseins bei der japanischen Tee-Zeremonie. „Es braucht nicht mehr als ein Dach über dem Kopf. Dann setzt man sich gemeinsam auf den Boden und genießt die Zeremonie. Das hat etwas sehr Verbindendes.“ Die Tradition des ZEN-Buddhismus in Japan scheint weit weg und sich ganz langsam und rituell auf den Genuss einer Tasse Tee vorzubereiten mag fremd wirken. Aber letztlich beschreibt es das, was auch in deutschen Küchen, Wohnzimmern und geheimen Supper Clubs wieder stattfindet: eine Rückbesinnung auf Bewährtes. „Bis in die 50er Jahre hat der Mahlzeiten-Rhythmus den Tag bestimmt, heute bestimmt häufig der Arbeitsrhythmus die Mahlzeiten und gegessen wird nebenbei, in der U-Bahn, vor dem Fernseher oder am PC“, erklärt der Ernährungspsychologe Christoph Klotter im Café Diderot. „Aber was da jetzt zu beobachten ist, ist eine Rückeroberung des Essens als soziales Ereignis.“ Die richtige Würze dafür sind natürlich die Menschen, mit denen ich den Genuss teilen möchte. Da hilft aber vielleicht auch nochmal der Blick auf die Japaner und die Erfahrung mit dem Abtasten der Teeschale. Die eben nicht glatt ist sondern Ecken und Kanten hat, was sie so wertvoll macht – wie eben eine gesellige Runde unterschiedlichster Menschen an einer langen Tafel. Guten Appetit!