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Normen in der Produktentwicklung

„Der energieeffizienteste Staubsauger ist der Kehrbesen“

Erst Normen und Standards machen Produkte und Dienstleistungen vergleichbar. Das leuchtet sofort ein. Dennoch beschäftigen sich im Alltag wohl nur wenige mit diesen Themen. Ganz anders Jens Giegerich von den Vorwerk Elektrowerken. Für seinen Einsatz als Obmann im europäischen Gremium für Materialeffizienz wurde er jüngst mit dem Nachwuchspreis des Deutschen Instituts für Normung e.V. ausgezeichnet. Anlass für uns, mit ihm zu sprechen - über den Normungsprozess und die darauf basierende Gesetzgebung.

Jens, du arbeitest bei den Vorwerk Elektrowerken im Bereich „Technical Regulatory Affairs, Standardisation and Associations“ – wie lange dauert es in der Regel zu erklären, was du beruflich machst?

Also der klassische Elevator Pitch reicht dafür selten aus. (lacht) Dass ich mich bei Vorwerk um den weiten Bereich der Normen und Standards kümmere und dabei Vorgaben aus der Gesetzgebung im Auge behalte, ist meist doch zumindest erklärungsbedürftig. Genauso wie die spezifischen Themen, wie zum Beispiel die Materialeffizienz. Und noch etwas länger dauert es, wenn ich dann noch erwähne, dass ich diese Bereiche eher horizontal betrachte. Das heißt: ich bin an der Entwicklung von Normen beteiligt, die erst einmal für alle Produkte gelten – vom Kühlschrank bis zum Staubsauger.

Wenn du von Normung und Gesetzgebung sprichst – wie greifen diese Bereiche ineinander?

Der Prozess besteht auf EU-Ebene im Wesentlichen aus drei Schritten bzw. Instanzen: Der Gesetzgeber (die EU-Kommission) erarbeitet einen Gesetzesentwurf, in dem erst einmal grundlegende Vorhaben stehen, wie zum Beispiel: „Ein Gerät soll sicher sein.“ Was das bedeutet, wird in Normen festgehalten, die in Expertenrunden erarbeitet und in Testverfahren beschrieben werden. Und ob die Vorgaben von den Herstellern eingehalten werden, überprüft die Marktaufsicht, die bei uns in Deutschland oft in den Umweltministerien der einzelnen Länder integriert ist. Sie kauft und überprüft Produkte und folgt dann bei Auffälligkeiten einem vorgeschriebenen Prozedere – vom Mahnschreiben bis zu härteren Sanktionen.

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Jens Giegerich

ist seit 2016 für die Vorwerk Elektrowerke im Einsatz und eigentlich ausgebildeter Chemiker. Er studierte und promovierte in Würzburg. Bereits für seinen ersten Arbeitgeber, den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), befasste er sich mit dem Thema Normung und lernte über die Gremienarbeit seinen heutigen Vorgesetzten kennen. Neben seiner Arbeit im Normungsprozess kümmert sich der 32-Jährige im Team Technical Regulatory Affairs, Standardisation and Associations u.a. um Sicherheitsaspekte sowie Fragen aus der Gesetzgebung. Sein neuestes und zeitintensivstes Hobby, wie er selbst sagt, ist aber die Materialeffizienz.

Du erarbeitest also in zweiter Instanz die Grundlagen für die Einhaltung von Gesetzen, was viel Gremienarbeit erfordert. Was macht dir an deiner Tätigkeit am meisten Spaß?

Der Austausch mit den vielen Menschen, die die unterschiedlichsten Hintergründe haben, ist besonders spannend. Es sitzen ja nicht nur Industrieexperten aller Couleur in den Normungsgremien, sondern auch Vertreter von NGOs und Verbraucherschutz. Die verschiedenen Meinungen zu hören, Themen zu diskutieren und auch mal aus ganz anderen Blickwinkeln zu betrachten, macht mir wirklich sehr viel Spaß. Natürlich mag das mitunter auch mal anstrengend sein, weil man viel Überzeugungsarbeit leisten muss, um zu Kompromissen zu gelangen. Aber ich finde es wichtig, dass wir mit unserer Arbeit an Leitlinien dafür sorgen, dass Produkte länger genutzt werden oder am Ende ihres Lebenszyklus besser recycelt werden können. Der Umweltschutzgedanke steht beim Thema Materialeffizienz im Vordergrund und das motiviert mich.

Mit dem Begriff „Materialeffizienz“ habe ich sofort auch die Frage nach alternativen Materialien assoziiert. Das trifft laut deiner Aussage aber nicht den Kern der Thematik. Was genau spielte hier im Normungsprozess denn eine Rolle?

Dafür muss ich vielleicht etwas weiter ausholen: 2005 griff eine Rahmenverordnung auf EU-Ebene zur umweltgerechten Produktgestaltung, in der festgehalten wurde, dass Produkte energieeffizient und ressourcenschonend gestaltet werden sollen. Da das Thema Energieeffizienz relativ leicht messbar und vergleichbar ist, hatte man sich zunächst verstärkt diesem Bereich gewidmet. Eines der Ergebnisse – nämlich die Labels für Energieeffizienz auf Elektrogeräten wie Kühlschränken – kennt glaube ich mittlerweile jeder.

Doch beim Energieverbrauch war das Optimierungspotential von E-Geräten nahezu ausgeschöpft. Klar, der energieeffizienteste Staubsauger ist ein Kehrbesen, aber die Geräte sollen ja auch noch ihren Zweck erfüllen. Also ging es nun um Ressourcen-Effizienz auf anderer Ebene und die zentralen Fragen: Wie lässt sich auf Dauer die Haltbarkeit von Produkten erhöhen? Wie verbessert man die Reparatur- und Recyclingfähigkeit, indem man dafür Normen schafft? Die Art des Materials, um auf deine Frage zurückzukommen, steht dabei nicht im Fokus und ist nur ein möglicher Teilaspekt.

Und die Normen für Materialeffizienz wurden nun erarbeitet?

Ein Teil der Normen ist bereits veröffentlicht – zum Beispiel jene zur Recyclingfähigkeit von Produkten. Andere befinden sich noch in der Abstimmung. Der Normungsprozess ist ziemlich durchgeplant und dauert etwa drei Jahre. Die Entwürfe, die auf EU-Ebene entstehen, werden an die nationalen Expertenkomitees zurückgespielt. Erst wenn diese dort verabschiedet wurden, wird die Norm publiziert.

Ohnehin geht es jetzt darum, auf Basis der erarbeiteten allgemeinen Standards produktspezifische Leitlinien zu entwickeln – also zum Beispiel auch für Staubsauger.

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Eine solche Auszeichnung freut mich schon sehr, weil sie beweist, dass das Thema Normung ernst genommen wird.
Der Zeitraum von drei Jahren ist mit Blick auf neue technische Entwicklungen recht groß. Wie wird vermieden, dass die Normung durch Innovationen überholt wird?

Die Gremien zur Normungsfindung werden nach der Veröffentlichung von Leitlinien nicht geschlossen. Sie tagen natürlich seltener, aber überprüfen dennoch regelmäßig, ob Anpassungen nötig sind. Grundsätzlich wird spätestens alle fünf Jahre geprüft, ob die Beschlüsse noch dem Stand der Technik gerecht werden.

Wenn neue, dann produktspezifische Normen greifen, können diese für die bisherige Arbeit in Unternehmen einschneidend sein?

Normen sind erst einmal freiwillig, solange kein Gesetzt dahintersteht. Aber natürlich wächst der Druck auf Unternehmen, den Anschluss an die Konkurrenz nicht zu verpassen. Schließlich wird das Kriterium „Nachhaltigkeit“ für die Kunden immer wichtiger. Und das ist auch gut so.

Weil das Mandat bereits entsprechend benannt ist, wird es in naher Zukunft auf jeden Fall eine Gesetzgebung zur Materialeffizienz geben. Die Normen, die erarbeitet wurden und werden, bilden ja dann die Grundlage dafür.

Jens, die letzte Frage: Du wurdest für dein Engagement für Materialeffizienz mit dem DIN-Nachwuchspreis gewürdigt. Was bedeutet dir eine solche Ehrung?

Sie freut mich schon sehr, weil sie beweist, dass das Thema ernst genommen wird. Bei Vorwerk habe ich immer schon gespürt, dass auf Nachhaltigkeit gesetzt wird. Doch seitdem Schüler freitags streiken gehen und sich der gesellschaftliche Diskurs noch einmal stark verschoben hat, wird meine Arbeit auch von anderen Menschen interessierter verfolgt. Die größte Bestätigung ist für mich aber nicht ein Preis, sondern zu sehen, dass andere Industriezweige die Ergebnisse meiner Arbeit übernehmen.

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