Generation Y - Aus Arbeitszeit wird Lebenszeit

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Work-Life-Balance

Sprunghaft, wählerisch, harmoniesüchtig – der Generation Y wird vieles nachgesagt. Statt freiwillig Überstunden für die Karriere zu machen, achten die 20- bis 35-Jährigen lieber auf den Freizeitausgleich. Oder kombinieren gleich beides: Aus Arbeit wird Freizeit, aber auch nur dann, wenn der Job sinnstiftend ist. Was will diese Generation wirklich?

Generation Y – das sind diejenigen jungen Menschen, die zwischen 1980 und 1995 geboren sind. Die meisten waren um die Jahrtausendwende Teenager, weswegen ihnen öfters auch der Name „Millenials“ gegeben wird. Das „Y“ der jungen Generation deutet nicht nur auf die Nachfolger der Generation X hin. Englisch ausgesprochen steht das „Why“ für die bedeutende Frage nach dem „Warum“. Das ständige Hinterfragen und über den Tellerrand schauen kennzeichnet die neue Generation, verbunden mit der Suche nach Sinn und Selbstverwirklichung – vor allem im Arbeitsleben. Ihr Verhalten mag auf manch einen Chef oder Kollegen wenig angepasst und betriebskonform wirken. Wenn man sich die Individuen aber im Einzelnen anschaut, lassen sich ihre Sichtweisen und Wünsche am besten einordnen.

Erste Joberfahrung hinter sich

Menschen der Generation Y sind in der Regel keine Berufsanfänger mehr. Die meisten arbeiten schon ein paar Jahre in ihrem erlernten Beruf und haben Erfahrungen in der ganz normalen Jobwelt gemacht. Das heißt: Top-Down-Hierarchien, Praktika und Zeitverträge sowie die alltägliche Business-Etikette. Aber auch: Trainee-Ausbildungen, mehr Teilzeit und Auslandseinsätze. Die positiven Errungenschaften des letzten Jahrzehnts.

Flexible Arbeitszeiten und Home Office

Nahezu synonym in Gebrauch steht der Begriff „Work-Life-Balance“. Keine andere Generation zuvor hat diesen Begriff so geprägt und insbesondere modifiziert wie diese. Das Gros der jungen Leute wünscht sich flexible Arbeitszeiten, eine freie Arbeitseinteilung sowie die Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten. Dazu gehört natürlich auch, Job und Familie später einmal vereinbaren zu können. „Die Work-Life-Balance ist für uns kein neues Thema, sondern selbstverständlich“, sagt der Münchner Student Philipp Riederle, Jahrgang 1994. Der Digital-Native-Experte erklärt Unternehmern, wie seine Zielgruppe denkt, handelt und am besten adressiert wird.

Riederle betont, dass seine Generation sehr leistungsbereit sei, aber auch eine hohe Freizeitorientierung habe. „Wir versuchen scheinbar konträre Lebensmuster unter einen Hut zu bringen“, sagt er. Das heißt: „Auf der Arbeit sind wir eifrig bei der Sache, lassen aber um Punkt 16 Uhr gerne mal den Stift fallen, um zuhause bei der Familie zu sein.“ Was die Unternehmer teilweise verunsichert, so Riederle. Auch unbezahlte Überstunden stoßen auf wenig Verständnis, wenn sie nicht vorher klar abgesprochen sind.

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Ein gutes Gehalt ist der Generation wichtig, aber nicht ausschlaggebend. „Wir arbeiten nicht nur für den Zeit-Geld-Austausch“, sagt Riederle. „Wir erwarten uns etwas mehr vom Arbeiten.“ Und das bezeichnet er als „Fortschritt“: Vorankommen, Erfahrungen sammeln und jeden Tag etwas Neues zu lernen, indem man – zusammen mit tollen Kollegen – etwas Sinnvolles macht.

Zwischen Ego-Taktiken und Wir-Harmonie

Kritiker werfen der Generation Y gern vor, das eigene Ich zu sehr ins Zentrum ihres Interesses zu stellen, sie sprechen gar von „Ego-Taktikern“. Steffi Burkhart, Jahrgang 1985 und somit selbst Mitglied und Sprachrohr der Generation Y, kennt die Wünsche und Anforderungen der Ypsiloner. „Junge Menschen streben nach Ich und Wir“, sagt die Kölnerin. „Ich“ sei in diesem Kontext aber nicht als Egoismus zu verstehen, sondern habe mit dem Megatrend Individualismus zu tun. Was heißt: „Wenn z.B. das Modell „Arbeitsplatzsicherheit“ immer mehr zerbröckelt, dann ist ein zentraler Sicherheitsanker junger Menschen, die persönliche Kompetenz weiterzubringen, um auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt sie. Flexibilität sei quasi eine Grundhaltung, gleichzeitig eine Art Anpassung. Denn wer damit lebt, den Job öfters zu wechseln oder wechseln zu müssen, der macht es irgendwann selbst. Gut ausgebildet und chancenreich sind die meisten. „Darüber hinaus denken junge Menschen aber auch sehr im Wir“, sagt Steffi Burkhart. Indem sie sich beispielsweise für Ideen der neuen Sharing Economy begeistern und sich daran beteiligen. Beispielweise Co-Working in mietbaren Gemeinschaftsbüros, Projekte auf Crowdfunding-Plattformen oder Netzwerke in Social Media Communities.

Auch Philipp Riederle engagiert sich im Netz. Mit 13 startete er seinen ersten Video-Podcast über das iPhone zu einer Zeit, wo es das amerikanische Smartphone noch gar nicht auf dem deutschen Markt gab. Mehrere tausend Abonnenten folgten ihm im Nu.

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Generation Y stellt andere Ansprüche an den Job

Dass die Work-Life-Balance der Generation Y deutlich wichtiger geworden ist, als ihren Vorgängern, kann auch Nils Schulenburg bestätigen, der als Hochschulprofessor, Unternehmensberater und Coach viel mit den jungen Talenten zu tun hat. Die Balance hinzukriegen sei nach seinen Erfahrungen nicht das entscheidende Thema, sondern die Arbeit, von der alles weitere abhängt. „Mitglieder der Generation Y möchten gerne vernünftige Jobs haben“, sagt er. „Das sind Jobs mit Bedeutung, in denen deutlich wird, was sie zum großen Ganzen eines Unternehmens beitragen.“ Doch wie sehen diese aus? „Den einen perfekten Arbeitgeber für eine gesamte Generation gibt es nicht“, sagt Steffi Burkhart. „Dafür ticken wir auch zu unterschiedlich.“ Nach ihrer Ansicht kommt es mehr darauf an, sich individuell um jeden Mitarbeiter zu kümmern und ihn auf seinem Karriereweg zu begleiten. Denn auf Karriere will diese Generation Y nicht verzichten, bestätigt auch Nils Schulenburg. Die Leute sind jung, flexibel und können sich gut anpassen. „Wettbewerbsorientierung ist für sie ganz normal“, sagt er.

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Hürden am Arbeitsplatz

Doch man muss ihnen auch Möglichkeiten zur Entfaltung bieten. Steffi Burkhart berichtet von unzähligen Hürden am Arbeitsplatz: „Häufig sagen junge Leute, sie fühlen sich von dem stark hierarchischen Denken und Handeln eingeschränkt.“ Aussagen wie: „Das haben wir schon immer so gemacht“; „Komm erst mal hier an, dann reden wir weiter“ oder „Das haben wir vor zehn Jahren mal probiert und es hat damals schon nicht funktioniert“ bremsen aus und demotivieren, sagt sie. Oft werde auch die digitale Ausstattung oder das fehlende digitale Verständnis älterer Kollegen oder Chefs kritisiert. Und bei größeren Organisationen klagen junge Menschen häufiger über eine mangelnde Vernetzung über Abteilungen und Standorte hinweg. Wenn es um Ausbildungsplätze geht, ist der Generation Y ein strukturierter Plan wichtig, sagt Philipp Riederle. Beispielsweise einer, wo man alle zwei Monate die Abteilung wechselt, und die beruflichen Ziele erkennbar sind. Denn: „Ein Unternehmen, das Azubis Kaffee kochen und mit den anderen Mitarbeitern nur mitlaufen lässt, braucht sich nicht wundern, dass diese nach einem Jahr wieder weg sind und etwas ganz anderes machen“, sagt Riederle.

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Global vernetzt und digitalisiert

Dass sie diese Barrieren stören, ist kein Wunder. Anders als die Generationen vorher sind die Ypsiloner in einer globalisierten Welt aufgewachsen, die sich schnell und immer schneller vernetzt und Multioptionen für die eigene persönliche Entwicklung geschaffen hat. Dazu ein Blick auf die technologischen Fortschritte zum Zeitpunkt ihrer Jugend: Als diese Generation in den Kindergarten kam, gab es die ersten Computer für den Hausgebrauch. Sie erlebten im Schnelldurchlauf, wie sich PCs und Notebooks zum praktischen Alleskönner entwickelten, das Internet die Brockhaus-Lexika der Eltern ersetzte und das Mobiltelefon das zeit- und ortsunabhängige Telefonieren mit den Eltern und Freunden ermöglichte. Das macht sie von klein auf flexibel – zum einen in ihrer Art zu denken, zum anderen aber auch im Handeln und Entscheiden. Denn wo Wissen nur einen Klick entfernt ist und man prinzipiell auch von Teneriffa aus das neue Werbeplakat für ein deutsches Unternehmen gestalten kann, vergrößern sich die Möglichkeiten, Arbeit so zu gestalten, wie sie am besten zu einem passt.

Generation Y verstehen

„Was für die Generation Y wichtig ist, erfordert viel Umdenken bei Älteren“, sagt Schulenburg, der auch Führungskräfte im Umgang mit den jungen Mitarbeitern berät. „Es muss für Millennials immer nachvollziehbar sein, warum welche Entscheidungen getroffen werden und warum welche Strategie angewandt wird.“ Wird dies durch Machtstrukturen und Hierarchien verhindert, schauen sich die jungen Talente schnell um. Häufige Jobwechsel sind fast normal geworden.

Wer ausharrt, durchläuft den klassischen Karriereweg und wartet mitunter Jahre auf den Aufstieg. Etwa die Hälfte ihrer Generation strebt direkt nach mehr Freiraum, Selbstverwirklichung und der Möglichkeit, flexibel zu arbeiten. Hotspot für neue Jobs ist wie so oft Berlin: „Hier entstehen täglich neue Start-ups, wo sich junge Menschen zwischen 20 und 30 gut ausprobieren können“, sagt Steffi Burkhart, die noch einen weiteren Trend beobachtet hat: „Die Spitzenkarriere suchen viele Gen Y’ler auch nicht mehr im Unternehmen, da sie wissen, dass Karriere Jahrzehnte dauern kann. Top-Leute machen sich heute selbstständig und wollen eine eigene und selbstverwirklichende Karriere.“ Hinzu kommt, dass einige Start-ups es geschafft haben, gute Verdienste einzufahren. „Da lässt sich die Jugend nicht mehr für wenig Geld abkaufen wie vor 20 oder 30 Jahren“, sagt sie.

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Aus Work wird Life

Wenn der Job immer seltener ein Zwang zur Sicherung des Lebensunterhalts wird, sondern eine erfüllende Tätigkeit, auf die Menschen stolz sein können, ändert sich auch das Verhältnis von Job zu Freizeit. Arbeitszeit ist kein vom sonstigen Leben abgekoppelter Vorgang, wie ihn die Jahrgänge zuvor forderten und erlebten. Sie wird zu sinnvoller und anregender Lebenszeit, die nicht mit dem Privatleben konkurriert. „Die Generation geht längst flexibler mit Freizeitaspekten um, als früher“, sagt Nils Schulenburg. Freizeit muss demnach auch nicht zwingend außerhalb des Arbeitsplatzes stattfinden. „Wenn ein Unternehmen Räume hat, wo man „socializen“ kann – also im Gemeinschaftsraum mit Kicker und Kaffeebar – dann ist das für die Generation auch schon Life“, so Schulenburg.

Aus der Work-Life-Balance kann so leicht das Work-Life-Blending oder die Work-Life-Integration werden, also das Verschmelzen von Arbeit und Freizeit. Ein Modell, das für die einen gut passt, da sie so flexibler arbeiten können, für die anderen die Gefahr der Ausbeutung birgt, sagt Steffi Burkhart. Von Ansätzen, wo der Arbeitgeber ab 19 Uhr den Server abschaltet, um seine Mitarbeiter vor Überlastung zu schützen, hält sie aber auch nichts. „Das wird in einer zunehmend globalisierten Arbeitswelt und Zusammenarbeit schnell an seine Grenzen stoßen.“ Besser sei, den Tages- und Wochenablauf selbst gut zu strukturieren, damit man sich nicht vollständig auspowert.

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