So arbeitet Vorwerks neuer Chefdesigner Jan Delfs
„Morgen ist heute schon gestern“ steht auf der Tür, die in das Büro von Jan Delfs führt. Der neue Vorwerk Chefdesigner bezeichnet sich selbst gerne als „Wegefinder“. Was einen solchen ausmacht, wie Delfs die Welt der Vorwerk Produkte weiter ins digitale Zeitalter führen möchte und welche Rolle Design Thinking dabei spielt, verrät er im Interview.
Wie viele andere Menschen auch, kenne ich die Vorwerk Produkte, speziell die Kobold Staubsauger, schon seit meiner Kindheit. Doch gerade in den letzten Jahren habe ich die Entwicklung des Unternehmens auch beruflich verfolgt. Die Marke hat sich stark verjüngt, hat sich mit Blick auf das Design ganz neu aufgestellt und ist insbesondere mit dem digitalisierten Thermomix auch Risiken eingegangen. Diese Experimentierfreude hat mich gereizt.
Natürlich kostet es sehr viel Energie, Gewohnheitsmuster zu durchbrechen. Doch das ist aus meiner Sicht eine Einstellungssache und eine Form, den inneren Schweinehund zu überwinden. Man sollte als Designer einfach eine grundlegende Unzufriedenheit mitbringen und immer wieder die unangenehmen Fragen stellen. Es gibt dazu noch ein passendes Zitat des Schriftstellers und Naturwissenschaftlers Georg Christoph Lichtenberg, in dem auch viel Wahres steckt: „Ob es besser wird, wenn es anders wird, weiß ich nicht. Dass es anders werden muss, wenn es besser werden soll, ist gewiss!“
arbeitet seit April für Vorwerk und löste im Sommer Uwe Kemker als Chefdesigner der Division Engineering ab. Delfs studierte Industriedesign an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel und gründete 2006 sein eigenes Designstudio. Als Autorendesigner entwarf er Haushaltswaren, Unterhaltungselektronik und Interieur für renommierte Unternehmen. Für seine Arbeiten wurde er mit über 80 internationalen Design-Preisen ausgezeichnet. Zuletzt war Jan Delfs neun Jahre lang in verschiedenen Designpositionen für die Deutsche Telekom im Einsatz und verantwortete unter anderem die Hard- und Software-Gestaltung des E-Book-Readers Tolino.
Ich kann meine Kollegen und andere Menschen überzeugen – und zwar, wenn ich selbst von einer Sache überzeugt bin. Ich bin jedenfalls nicht der große Psychologe, der mit irgendwelchen Motivations-Tricks arbeitet. Ich selbst habe 20 Jahre gebraucht, um für mich zu erkennen: Ich bin ein „Wegefinder“ und möchte nicht zu den „Gründesuchern“ gehören.
„Gründesucher“ richten ihren Blick meist nach hinten und bleiben mit einer „Ja-aber“-Haltung in ihren konservativen, statischen Rollen. „Wegefinder“ hingegen gucken nach vorne und verstehen, wohin die Reise gehen soll. Sie sind offen für Neues, immer auf der Suche und blicken in die Zukunft. Und vor allen Dingen probieren sie auch mal etwas aus.
Unser Ziel ist, nicht einfach nur Produkte zu entwerfen, sondern ganzheitliche Kundenerlebnisse zu gestalten. Die Menschen sollen vom ersten Moment an begeistert sein – und hierbei bekommt das Design in der heutigen Zeit eine immer wichtigere Bedeutung. Design dient als Vermittler zwischen den Menschen und der Technologie und übersetzt innovative Technik in kundenrelevante Produkte.
Man sieht das sehr schön an der Entwicklung im Smart Home Bereich, welcher zwar in aller Munde ist, aber deutlich schwächer wächst als noch vor acht Jahren angenommen. Der Grund ist, dass die Technik einfach noch nicht bietet, was man sich von ihr erhofft. Das perfekte Kundenerlebnis hat unglaublich viel mit Emotionen zu tun.
Nehmen wir die „Türschließanlage“ im Smart Home. Rein technisch wurde hier alles richtig gemacht. Der Begriff hingegen ist – unter anderem wegen des Sicherheitsaspekts – negativ besetzt. Benennt man die Funktion aus Kundensicht in „Türöffnungsanlage“ um, so bleibt die Technik zwar identisch, doch die Perspektive und das Erlebnis werden positiv verändert. Der Nutzer wird willkommen geheißen, wie von einem professionellen Hotel-Portier.
Wenn die Begrüßung an dieser Stelle noch an die Stimmung des Nutzers angepasst wird – zum Beispiel durch verschiedene Lichtnuancen oder Musikstile – dann kommen wir dem perfekten Kundenerlebnis ganz nah. Noch kann die Technik aber nicht das, wozu wir als Menschen fähig sind: Emotionen innerhalb von Millisekunden aus unserem Gegenüber herauszulesen.
Die Digitalisierung hat das Design massiv beeinflusst. Und sie hat vor allen Dingen eine Machtverschiebung hin zum Konsumenten forciert. Der Kunde entscheidet durch sein Nutzungs- und Kaufverhalten viel stärker als früher, welches Produkt und welcher Service erfolgreich sind. Designer müssen viel vernetzter und interdisziplinärer arbeiten – und als Gestalter immer die Kundenbrille aufsetzen.
Das „Design Thinking“ ist wohl die jüngste Sau, die in den letzten fünf Jahren durch die Management-Dörfer so einiger Unternehmen getrieben wurde. Es gab unglaublich viele Coachings und Seminare dazu, um neue Arbeits- und Denkweisen hervorzuheben. Dabei muss man eigentlich die Unternehmen selbst anders gestalten und kann sich nicht nur auf einen Kreativprozess zur Ideenfindung verlassen. Hier heißt die Marschroute eher „design thinking, design doing, design being“!
Es gibt einige Designer und Autoren, die diesen Dreiklang aus „Design Thinking, Design Doing und Design Being“ proklamieren und vorantreiben, unter anderen der Design-Professor Jan-Erik Baars, ein ehemaliger Kollege von mir. Es gibt einige Designer und Autoren, die diesen Dreiklang aus „Design Thinking, Design Doing und Design Being“ proklamieren und vorantreiben, unter anderen der Design-Professor Jan-Erik Baars, ein ehemaliger Kollege von mir. Dieser Dreiklang bietet die theoretische Grundlage für ein eher agiles Unternehmenskonstrukt, welches nicht länger vom Taylorismus geprägt ist, also weniger dem klassischen hierarchischen Unternehmensaufbau entspricht. In diesem Punkt teile ich viele Gedankengänge meiner Kollegen und möchte meine Ideen auch entsprechend bei Vorwerk einbringen.
Von einer definierten Unternehmensvision – das ist das „Design Being“ – leite ich strategische Überlegungen für mein Unternehmen („Design Thinking“) ab, die ich anschließend ins „Design Doing“, also die Exekutive überführe. Das gestaltende und verbindende Element ist dabei immer das Design, das auf diese Weise einen nachhaltigen Mehrwert für Konsumenten und Unternehmen – und vor allen Dingen ein nachhaltiges Kundenerlebnis kreiert.
Dafür gibt es sicher kein Patentrezept. Wir möchten für die Menschen einen „Wow-Moment“ gestalten und Begeisterung auslösen. Das Wichtigste ist, dafür den gesellschaftlichen Wandel im Blick zu behalten und die Bedürfnisse der Menschen wahrzunehmen – unabhängig von allen Trends und technischen Neuerungen, die natürlich auch in unsere Produkte einfließen.
Dass bei Vorwerk alles aus einer Hand kommt – vom ersten Strich der Entwurfsskizze, über die Fertigung und Qualitätssicherung, bis hin zum Direktvertrieb – ist aus meiner Sicht ein großer Vorteil. Der exzellente Draht zu den Kunden ist etwas, was wir vielen Unternehmen, die nur über soziale Netzwerke oder persönlich gehaltene E-Mails Nähe erzeugen wollen, voraushaben. Das und unsere Experimentierfreude, die wir uns in jedem Fall bewahren sollten.